Reinhard Mey - Vertreterbesuch (1964)

Das Video setzt eigentlich erst nach 17 Sekunden ein, dann erkennt man möglicherweise einen alten Bekannten... Vertreterbesuch (1964) Gestern mittag um halb eins klingelt es an meiner Tür, Ich geh’ hin und mach’ auf, und da steht ein Mann vor mir, Der sagt: „’Tschuld’gen Sie die Störung, guten Tag, Komme von der Firma Lehmanns Geographischer Verlag. Hier ist unser Vierfarbkatalog, wähl’n Sie in Ruhe aus. Unser Slogan: ,Lehmanns Globus gehört in jedes Haus!’ Wenn Sie mir gestatten, rat’ ich Ihnen Modell acht. Wird von innen her beleuchtet und aus Plexiglas gemacht. Maßstab eins zu hunderttausend, Vierfarbdruck für jedes Land: Grenzen, Städte, Kolonien alles auf dem neu’sten Stand. Erläuterung und Legende liefern wir kostenlos mit. Lieferfrist ist vierzehn Tage, woll’n Sie Teilzahlungskredit?“ Danach muss er Luft holen, und das nutz’ ich blitzschnell aus. Ich sag: „Ich brauch’ keinen Globus, ich hab’ schon einen zu Haus. Zwar von 1780, wie ich eingestehen muss, Doch dafür ist er signiert von Doctor Serenissimus! Er zeigt die fünf Kontinente, sieben Meere“, und ich sag: „Daran hat sich nichts geändert, bis auf den heut’gen Tag! Denn wozu brauch ich Ihre Grenzen und wozu die Kolonien, Wenn die Mächtigen der Welt die Grenzen wöchentlich neu zieh’n! Ebenso ist’s mit den Städten, weil mir niemand garantiert, Dass nicht morgen ein Verrückter ganze Städte ausradiert! Und wenn die Versuche glücken, sprengen die die ganze Welt! Geb’n Sie zu, dann ist ein Globus doch nur rausgeschmiss’nes Geld! Seh’n Sie ein, dass mit mir heut’ kein Geschäft zu machen ist? Andrerseits bin ich kein rabenschwarzer Pessimist. Sicher wird’s mal was mit Frieden, vielleicht siegt mal der Verstand – Doch bis an den Tag geh’n sicher viele Jahre noch durchs Land. Schreiben Sie in Ihr Notizbuch für das Jahr zweitausenddrei: Nicht vergessen zu besuchen: Wegen Globus zu Herrn Mey!“
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