Dmitrij Schostakowitschs Sinfonie Nr. 10 e-Moll op. 93 spielte das WDR Sinfonieorchester unter der Leitung seines damaligen Chefdirigenten Semyon Bychkov im April 2005 in der Kölner Philharmonie.
00:00:00 I. Moderato
00:23:09 II. Allegro
00:27:21 III. Allegretto
00:39:54 IV. Andante – Allegro
WDR Sinfonieorchester
Semyon Bychkov, Leitung
Hans Hadulla, Regie
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○ Werkeinführung
Nach außen hin war Dmitrij Schostakowitsch für die sowjetrussische Partei- und Staatsführung ein Glücksfall. Von Publikum und Kritik gleichermaßen geachtet und bewundert, vertrat der vieldekorierte Komponist sein Heimatland auch im Ausland. In der Sowjetunion standen seine Werke im Mittelpunkt des Interesses und Schostakowitsch übernahm hohe Ämter im Führungsapparat. In der Realität des Überwachungsstaats führte er jedoch ein Leben zwischen Aufmüpfigkeit und Anpassung. Nach Stalins Tod im März 1953 war die Zeit reif für eine bitterböse Abrechnung – Schostakowitsch schrieb seine 10. Sinfonie. Ihre Uraufführung am 17. Dezember 1953 löste sogleich lebhafte Debatten aus. Der sowjetische Komponistenverband diskutierte sogar drei (!) Tage kontrovers über das Werk. Schließlich setzte sich aber die Anerkennung der 10. Sinfonie als eines der wichtigsten sinfonischen Werke der Gegenwart auch in der Sowjetunion durch. Im Westen dagegen erfreute sich die Zehnte bereits kurz nach Erscheinen großer Beliebtheit.
In der 10. Sinfonie offenbaren sich die Wunden, die Schostakowitsch während der Stalinzeit zugefügt wurden. Das Bemühen um Versöhnung wird vom Scheitern dieses Versuchs konterkariert. Leitmotivisch durchziehen die Töne D-S(Es)-C-H als Monogramm von Schostakowitschs Initialien die Partitur. Der Musikwissenschaftler Bernd Feuchtner vermutet, hierdurch stelle der Komponist nicht die Partei, sondern seine individuelle Identität in den Mittelpunkt, und erteile damit der stalinistisch verordneten Kollektivierung des Einzelnen eine klare Absage.
Der Charakter des schon von seiner Länge her bedeutungsvollen Kopfsatzes wird von einem schwermütig-nachdenklichen ersten Thema geprägt. Später tritt ein Klarinetten- und ein drittes Flötenthema hinzu. Insgesamt kreist das Geschehen immer wieder um die gleichen bohrenden Fragen und Klagen. Der zweite Satz ist das kürzeste und wütendste Scherzo, das Schostakowitsch jemals geschrieben hat – es regiert der zerstörerische Wahnwitz. Schostakowitsch verriet hierzu: »Der zweite Satz […] ist, grob gesagt, ein musikalisches Porträt von Stalin«. Im nachfol-genden Allegretto stecken in den Tönen des tänzerischen Hauptthemas die Initialien D-S(Es)-C-H. Diese erfüllen auch im Finale eine wichtige Funktion, wenn sie auf dem Gipfelpunkt einer enormen Steigerungsbewegung eine befreiende Wirkung auslösen und am Ende sogar über das böse Spiel triumphieren.
(Text: Tilla Clüsserath)
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3 months ago 01:23:38 1
Schostakowitsch: 7. Sinfonie (»Leningrader«) ∙ hr-Sinfonieorchester ∙ Klaus Mäkelä