aus dem Booklet zur CD:
Die Lukas-Passion (1744) von Georg Philipp Telemann
hat manche Stilmerkmale der von J. S. Bach her bekannten grossangelegten oratorischen Passionen:
Choralverse und Evangelientext werden durch eingeschobene Arien ergänzt, die Texte des Volkes zu dramatisch expressiven, den versierten Opernkomponisten verratenden Turbae gesteigert. Doch bleibt Telemann im Gegensatz zu Bachs komplizierterem Stil vergleichsweise einfach, Ja eigentlich „volkstümlich“: Da die eingefügten Choräle seinerzeit von der ganzen Gemeinde gesungen wurden, hat sie Telemann bewusst einfach ausgesetzt.
In den Arien und Chören zeugt seine Musik jedoch von grossem Einfallsreichtum und überrascht auch den Musikkenner immer wieder durch ihre Vielfalt: er war ein Meister der Wortausdeutung, ohne ins Mystische zu verfallen - deshalb spricht seine Kompositionsweise auch heute noch das breitere Musikpublikum an als Bach.
Doch gerade Telemann hat seine Tücken: durch seine direktere Tonsprache ist seine Musik den alten, heute weitgehend vergessenen Interpretationsregeln viel stärker unterworfen. Diese Aufführung richtet sich deshalb streng nach den von Joh. Joachim Quantz überlieferten Spiel- und Tempovorschriften. Daraus resultiert ein durchweg langsameres Tempo und verlangt damit ein ungleich stärkeres Eingehen auf die Details wie Taktgewicht‚ Sprachrhythmus und Ausführung der Vorschläge. Gerade die langsamere Ausführungsweise z. B. der Turbae ergibt eine grössere Spannung, die drohenden Worte werden noch bedrohlicher. Aber der Zuhörer hat Zeit. dem Geschehen zu folgen und, was vor allem wichtig ist, zu verarbeiten.
Dem Dirigenten Walter Nater liegt viel daran, aufzuzeigen, dass alte Musik sehr wohl „authentisch“ auch auf modernen Instrumenten gespielt werden kann: der Geist, der die Noten belebt, ist wichtiger als die Hülle, auf welcher sie erzeugt werden! Vielleicht ist man sogar erstaunt, wie lebendig diese „alte“ Musik heute noch ist.
Den Solisten kommt in einer Passion eine tragende Rolle zu, weshalb deren Auswahl besondere Beachtung geschenkt wurde:
Die Sopranistin Monika Sauder-Jetter ist eine junge, talentierte Nachwuchssängerin aus Amriswil, die sich noch im Studium bei Kathrin Graf befindet.
Der Bassist Remo Clematide (Christus) ist ein in unserer Region bewährter und zuverlässiger Sänger, den wir nicht näher vorzustellen brauchen.
Die wichtigste und umfangreichste Partie aber fällt dem Tenor zu.
Die Evangelistentexte und die Arien werden deshalb von einem international bekannten Tenor gesungen: Claus H. Gerstmann aus Ravensburg.
Claus Gerstmann (Jahrgang 1961) schloss sein Gesangsstudium mit dem Staatsexamen an der staatlichen Hochschule für Musik in München ab. Er ist freischaffender Opern- und Konzertsänger und bestritt Konzerte u. a. mit dem Münchner Kammerorchester, den Bamberger Symphonikern, den Orchestres de chambre de Lausanne und Neuchatel nebst diversen Oratorien- und Opernproduktionen u. a. in Ludwigshafen, Luzern, Bern und für Rundfunk
und Fernsehen (ZDF).
Noch eine Besonderheit ist zu erwähnen:
Der Schlusschoral „O Jesu Christe, Gottes Sohn“ wurde vom Herausgeber in den gedruckten Noten als „textlich ungeeignet und musikalisch nicht sehr wertvoll“ weggelassen; in der Aufführung in Romanshorn wird aber der originale Schluss so zu hören sein wie von Telemann vorgesehen.
Die Noten dafür hat Walter Nater von der Originalhandhandschrift der Mecklenburgischen Landesbibliothek Schwerin abgeschrieben und eingefügt.
siehe auch:
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